Menschen retten muss man sich leisten können // Sabine Rossmann

Viele Flüchtlinge kommen nun schon seit eineinhalb Jahren zu unserem Deutschstammtisch und unseren anderen Aktivitäten. Wir haben sie durch ihr Asylverfahren begleitet und kennen ihre Geschichte und ihre Schwierigkeiten. Viele Probleme können wir innerhalb unserer Initiative lösen, aber leider nicht alle. Mit dem folgenden Artikel wollen wir die Berliner unter Euch um Hilfe bei einem dieser für uns unlösbaren Probleme bitten.

MENSCHEN RETTEN MUSS MAN SICH LEISTEN KÖNNEN

Anerkannte Flüchtlinge aus Syrien, die spätestens zum 1. Januar 2014 nach Deutschland geflüchtet sind, dürfen Verwandte ersten und zweiten Grades, wie Eltern oder Geschwister aus der Krisenregion rund um Syrien nach Berlin holen. Theoretisch zumindest.

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Praktisch müssen sie als Alleinstehende(r) dafür ein monatliches Nettoeinkommen von mindestens 2150 Euro nachweisen. Für den Lebensunterhalt des Familienmitglieds muss der Flüchtling nämlich selbst aufkommen. Berlin übernimmt lediglich den Anspruch auf Krankenhilfe nach dem Asylbewerberleistungsgesetz; von allen anderen Sozialleistungen ist die nachgeholte Person ausgeschlossen. Wie jemand, der erst seit ein bis zwei Jahren in Deutschland ist und zum Teil monatelang auf seinen Aufenthaltstitel bzw. seinen Integrationskurs und seine Arbeitserlaubnis warten musste, an einen seit mindestens sechs Monaten bestehenden Arbeitsvertrag mit einem derart hohen Gehalt kommen soll, scheint niemanden zu interessieren. Eine Sachbearbeiterin der Berliner Ausländerbehörde meint dazu bedauernd: „Man muss leider wirklich sehr gut verdienen, um sich einen Flüchtling leisten zu können.“

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Karim hat jahrelang als Seemann gearbeitet bevor er Anfang 2014 vor dem Bürgerkrieg in Syrien nach Deutschland geflohen ist. Seine Eltern und Geschwister sind noch immer in Syrien. Sein älterer Bruder ist aus der syrischen Armee desertiert und in den Libanon geflüchtet. Dort versteckt er sich nun vor der Hisbollah und hat täglich Angst um sein Leben. Karim könnte seinen Bruder retten und über das Berliner Aufnahmeprogramm nach Deutschland holen, aber er hat erst seit kurzem eine Arbeitserlaubnis und verdient viel zu wenig, um sich für seinen Bruder verpflichten zu dürfen. Karim versteht nicht wieso er so viel Geld verdienen muss, damit sein Bruder hierherkommen kann. „Mein Bruder könnte sofort arbeiten und bei mir wohnen. Wir kämen schon zurecht. Wie soll ich als Ausländer und ohne Ausbildung so viel Geld verdienen?“ Karim ist verzweifelt. Seinem Bruder sind alle Wege versperrt: Um illegal über die Türkei nach Europa zu gelangen, müsste er erst zurück nach Syrien. Dort würde er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit getötet werden.

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Baidar ist erst 2015 nach Deutschland geflüchtet. Damit erfüllt er schon die erste Voraussetzung des Berliner Aufnahmeprogramms nicht: Wer zu spät flüchtet, den bestraft die Behörde. Als anerkannter Flüchtling darf er zwar seine Frau und seine kleinen Töchter nach Deutschland holen, nicht aber seine schwer kranke Mutter, die bisher von seiner Frau versorgt wird. Die alte Dame ist blind und auf Hilfe angewiesen. Für solche Fälle gibt es theoretisch den §36 Absatz 2 Aufenthaltsgesetz, nach dem „sonstigen Familienangehörigen“ eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann, „wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist“. Doch leider gilt auch hier: Einen Härtefall in der Familie muss man sich leisten können. Auch in diesem Fall bedarf es einer Verpflichtungserklärung und eines monatlichen Mindestnettoeinkommens von 2150 Euro. Da Baidar drei Kinder hat, müsste er sogar 3745 Euro verdienen – netto. Zusätzlich zum Lebensunterhalt müssen bei einem Härtefall außerdem auch die Krankenbehandlungskosten komplett vom Verpflichtungsgeber übernommen werden. Baidar ist monatelang von einer Beratungsstelle zur nächsten gelaufen. Er konnte nicht glauben, dass Deutschland kein Erbarmen mit seiner alten Mutter hat. „Was soll ich tun? Meine Familie vegetiert in Ägypten vor sich hin. Meine Kinder sollen in Sicherheit aufwachsen. Aber ich kann doch meine hilflose Mutter nicht allein zurücklassen?“

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Die Verpflichtungserklärung kann auch von einem Dritten übernommen werden. Dazu muss man in Berlin gemeldet sein und ein entsprechend hohes Einkommen nachweisen. Alle nötigen Informationen zur Verpflichtungserklärung finden sich hier: http://service.berlin.de/dienstleistung/326540/

Wichtig: Es genügt eine formelle Erklärung. Die tatsächlich entstehenden Kosten können wir dann gemeinsam und mit Hilfe von Spenden stemmen. Beide Personen können sofort nach ihrer Einreise Asyl beantragen.

Wer Karim und Baidar helfen kann, melde sich bitte bei uns: neuenachbarschaft@gmail.com.

Danke! – Shukran!